Zum 50. Todestag von Dorothy Parker - WELT (2024)

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Die nachfolgenden Gedichte entnehmen wir der im Dörlemann-Verlag erschienen Sammlung von Dorothy Parker („Denn mein Herz ist frisch gebrochen. Gedichte Englisch / Deutsch. A. d. Engl. von U. Blumenbach. Dörlemann. 400 S., 34 €). Die Anmerkungen in Fußnoten sind von Philipp Haibach.

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*

Roman 1 in zwei Bänden

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Die Sonne ist hin,

Und der Mond gibt kein Licht,

Denn ich liebe ihn,

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Aber er liebt mich nicht.

1) Ihr Leben – ein Roman?

Ihr Leben glich dem Roman, den sie nie geschrieben hat. „Ich wünschte bei Gott, dass ich einen schreiben könnte, aber ich habe nicht die Nerven“, sagte Dorothy Parker (1893-1967) der „Paris Review“. Sie gab im Sommer 1956 in ihrem Hotel in Manhattan eines ihrer raren Interviews.

Dorothy Parker lebte eigentlich immer in Hotels. Sie war nämlich eine lausige Hausfrau. Und nirgends zu Hause. Außer natürlich in New York. „Sie fand den Gedanken, irgendwo anders als in New York zu leben, schon immer enorm grotesk“ heißt es in ihrer stärksten Kurzgeschichte „Eine starke Blondine“ (1929).

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Im Gespräch fuhr sie fort: „Ich brauche sechs Monate, um eine Geschichte zu vollenden ... Ich kann keine fünf Worte schreiben, ohne dass ich sieben ändere.“ All ihre Short Stories ergeben zusammen einen Band so dick wie ein Roman. Fast alles drin, was ihr Leben schrieb – und es waren nicht immer nur die schönsten Geschichten.

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News Item 2

Men seldom make passes

At girls who wear glasses.

*

2) Alles über Brillenschlangen

Ihre Bonmot-Bomben fielen nicht bloß wie Oliven in die Martini-Gläser, sondern sie trafen jeden, der mit ihr am berüchtigten Round Table im Algonquin-Hotel zwischen 1919–1929 saß. Die Mitglieder dieses intellektuellen Zirkels sind heute nahezu vergessen, darum ersparen wir uns das Mitleid.

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Unvergessen, fast einem Sprichwort gleich, bleibt natürlich dieser Zweizeiler der kurz-, gleichwohl weitsichtigen Parker, die Ulrich Blumenbach wie folgt übersetzt hat: „Männer tragen kaum Verlangen / Nach Verkehr mit Brillenschlangen.“ Ihre Brille trug sie nur beim Schreiben.

Sie wäre ihr beim Lesen des Titels ihrer einzigen deutschen, immerhin mit 600 Fußnoten versehenden Biografie verrutscht: „Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber“. Sie hasste den ihr zugeschriebenen Humor: „Das wurde schließlich so schlimm, dass sie zu lachen anfingen, bevor ich meinen Mund auftat.“

*

Eine gewisse Dame

Oh, lächeln kann ich für dich, stets devot,

Trink deiner Worte Sturzbach voller Gier

Und male meine Lippen lieblich rot

Und streichle manikürt die Braue dir.

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Zählst du die Liste deiner Liebsten auf,

Oh, lachen kann ich dann und staun verzückt.

Und du lachst auch, denn niemals kommst du drauf,

Was tausendfältig mir das Herz zerdrückt.

Und du glaubst, weil ich mich so gut verstell,

Ich wär schneeleicht und heiter wie die Früh,

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Und alles, was ins Herz mich trifft pfeilschnell,

Errätst du nie.

Oh, lachen kann ich, lausch beim Rendezvous,

Tischst du mir neue Abenteuer auf

Von feiner Damen Leichtsinn noch dazu,

Von Fingerspiel und Säuselei zuhauf.

Und du freust dich an mir, hebst wieder an,

Singst Epen deiner Wonnen in der Bar 3.

So magst du mich – so echt, vergnügt, spontan –

Und siehst nicht, wie ich nachts ins Dunkel starr.

Und gehst du wieder fremd von Ort zu Ort,

Oh, küssen kann ich dich, gehst du, Chéri ...

Und was sich tut, mein Schatz, bist du erst fort,

Errätst du nie.

*

3) Dorothy Parker und der Alkohol

Zu Beginn trank sie nicht einmal in der Bar, Alkohol schmeckte der jungen Parker nicht. Dann plötzlich – „sie konnte sich nicht auf den Tag genau erinnern, wann sie selbst zu trinken anfing“ wie es in „Eine starke Blondine“ heißt – soff sie auch zu Hause. Erst als Co-Alkoholikerin mit ihren Männern, dann als vollwertiges Mitglied dieses Klubs auch allein.

Der Suff wurde zu einem Leitmotiv ihres Lebens, und wir reden hier nicht von zwei heruntergekippten Whiskeys am Mittag, die heute selbst in einem Zeitungshaus den Betriebsarzt auf den Plan riefen. Es war ziemlich unschön. „Dottie ist inzwischen eine solche Trinkerin, dass du nie weißt, wann sie mit dem Gesicht in der Suppe landet“.

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Das entging selbst dem koksenden Wodka-Lästermäulchen Capote nicht, als er sie in seinem galligen Romanfragment „Erhörte Gebete“ in den 70er-Jahren beschrieb. Und das von einem Mann, dem sie 1959 in einer „Esquire“-Rezension bescheinigt hatte: „Truman Capote can write.“

*

Männer

Sie preisen dich als Morgenstern,

Denn wie du bist, hat man dich gern.

Erwiderst du nun ihr Gefühl,

Bemängeln sie auf einmal viel.

Und hast du dich erst anvertraut,

Dann wirst du richtig umgebaut.

Sie fluchen dem, was dich erfüllt;

Sie formen dich nach ihrem Bild 4.

Sie sind selbst deines Gangs Ruin;

Sie dirigieren und erziehn.

Sie tilgen, was dich einst empfahl.

Sie machen krank, sie können mich mal.

*

4) Alles über ihr Image

Ja, welches Bild bleibt von Dorothy Parker? Das von dem frechen Gör, das sein erstes Gedicht 1914 an die „Vogue“ schickt und dafür zwölf Dollar bekommt, dann über ihren kurzzeitigen Arbeitgeber lästert: „‚Vanity Fair’ war ein Magazin ohne Meinung, aber ich hatte Meinungen“? Das der politisch Engagierten, dem Kommunismus Zugeneigten (mit einer naiv-wirren Bewunderung für Stalin), was sie naturgemäß bei der McCarthy-Hexenjagd in den 50er-Jahren adelte?

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*

Schönes Wetter

Dies flache weite Blau ist nicht mein Meer;

Hier liegt im Sonnenglanz ein süßes Nass,

Das dieser Küste gut markierte Wehr

Mit leisem Kräuseln wäscht ohn Unterlass.

Mein Meer ist’s nicht, das demutsvoll bespült

Den glitzrig warmen Sand, den Strand so plan.

Ich brauche Wellen, stärker aufgewühlt;

Man hasst die Flaute, kennt man den Orkan.

Drum stürz die Liebe 5 wieder über mich

Mit tausend Brechern tosend wild herein,

So grausam jäh, wie sie einst kam und wich;

Mit Donnerbraus nah ihrer Fluten Pein

Und lass bei Ebbe dann im Herz zurück

Nur Algen und vom Wrack die Splitterstück.

*

5) Ihr Liebesleben

Als zierliches und nymphomanes Luder wird Parker 1994 von Jennifer Jason Leigh in „Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis“ verkörpert, einem in der behäbigen 70er-Jahre-Ästhetik von Agatha-Christie-Verfilmungen gedrehten Kammerspiel über ihre Führungsrolle in ebenjener Algonquin-Hipster-Boheme (überraschend darin ist aber nur der Busenblitzer der braven Gwyneth Paltrow, die eine auf Rollen geile Schauspielerin spielt).

Parker liebte die Liebe, den Sex. Zig Affären werden ihr nachgesagt, dreimal war sie verheiratet, zweimal davon mit dem Demselben, dem Schauspieler Allan Campbell (ein Auf und Ab, das mühelos für einen Roman gereicht hätte).

Anfangs stand sie auf hübsche Männer, die ihr intellektuell nicht das Wasser reichen konnten. Aber sie vermochte diesen Fetisch viel besser zu beschreiben: „Er war in der Tat ein sehr gut aussehender junger Mann, wie geschaffen zur Belästigung. Seine Stimme war intim wie das Rascheln von Bettlaken, und er küsste leicht.“

*

Interview

Den Damen, die der Mann verehrt,

Ist loses Mundwerk tadelnswert.

Ihr Licht brennt schlicht tagein tagaus;

Sie bleiben abends gern zu Haus.

Sie gehen zeitig schon zur Ruh,

Galante Lyrik 6 ist tabu.

Der Schmutz stößt nie auf Toleranz,

Sie merken keinerlei Avance.

Sie leisten beim Make-up Verzicht …

Beschwerden gab’s bei mir noch nicht.

6) Ihr Lyrik-Sound

Bevor Dorothy Parker als eine Meisterin der Verknappung Kurzgeschichten schrieb, widmete sie sich der Lyrik. Mehr als 300 Gedichte – meist im Kreuzreim gehalten – sollen es sein. Zu Lebzeiten erscheinen die Sammelbände „Enough Rope“ (1926), „Sunset Gun“ (1928), „Death and Taxes“ (1931) und „Not so Deep as Well (1936). Darin bricht sie ironisch die großen Themen von Liebe, Tod und Verlust. Schnoddrig, zynisch, mädchenhaft, pathetisch, sentimental und abgeklärt zugleich.

Es ist der Sound der Großstadt. Wobei Parker später im Interview gar nicht von „Gedichten“ sprechen will, sondern: „Meine Verse. Gedichte kann ich das nicht nennen … Lassen Sie uns den Tatsachen ins Gesicht sehen, Liebes, meine Verse sind schrecklich überholt – wie alles, was einmal Mode war, heute grässlich ist. Ich gab es auf in dem Wissen, dass es nicht besser würde, aber niemand scheint meine großzügige Geste bemerkt zu haben.“ Auch wir denken nicht dran.

Résumé 7

Klingen ritzen;

Flüsse sind nass;

Säuren ätzen;

Gift macht blass;

Colts sind strafbar;

Strick könnte nachgeben;

Gas stinkt furchtbar;

Da kannst du auch leben.

7) Das Fazit ihres Lebens

Sie war mal arm, mal reich, mal glücklich, mal verzweifelt. Sie trieb ab und erlitt als eine Frau über 40 zweimal eine Fehlgeburt. Sie selbst hat den Tod diverse Male mit Klingen oder Schlafmitteln ausprobiert. Nur genauso gut konnte sie leben, um mit ihren Literatur- und Theaterrezensionen im „New Yorker“ messerscharf zu töten, während der geliebte Hund neben ihr saß.

Oder um mit Ernest Hemingway befreundet zu sein, den sie verehrte und der sich hinter ihrem Rücken lustig machte: „O du, die du mit einer Rasierklinge / einer neuen zur Vermeidung einer Infektion / dir beide Handgelenke aufgeschlitzt hast / die Narben entziehen sich der Detektion.“

Sie ging mit ihrem Mann Alan Campbell als Drehbuchautorin nach Hollywood, um es todgelangweilt hassen zu lernen. Sie zog mit ihm in ein Haus in Pennsylvania und später als Witwe wieder zurück nach New York, wo sie starb. „Wenn Du die Dämmerung überstehst, dann wirst du auch die Nacht überleben“, schrieb sie als alte Frau. Manchmal ist es so einfach.

Dorothy Parker: Denn mein Herz ist frisch gebrochen. Gedichte Englisch / Deutsch. A. d. Engl. von U. Blumenbach. Dörlemann. 400 S., 34 €

Zum 50. Todestag von Dorothy Parker - WELT (2024)
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Author: Errol Quitzon

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